Vampir-Horror-Roman Nr. 230: Der Druidenzauber

Vampir-Horror-Roman Nr. 230: Der Druidenzauber


Ich muß beichten, ehe es zu spät ist. Ehe ich den Verstand verliere oder sterbe oder spurlos verschwinde. Vielleicht lebe ich aber auch weiter als Dr. René Martire, den alle Leute in Morlaix inzwischen als Nachfolger seines verschrobenen Onkels kennen, obwohl ich erst vor drei Monaten seine Praxis übernommen habe. Vielleicht besuche ich weiter meine Patienten, lächle, grüße, öffne pünktlich um neun meine Praxis, damit die Leute beruhigt sind, damit alles seine gewohnte Ordnung hat. Aber das wäre dann nicht mehr ich, sondern nur noch eine Erscheinung, ein Zombie, eine wehrlose Hülle. Ich weiß noch nicht, wie ich mich entscheiden werde. Aber als Zombie- nein, das wäre schlimmer als der Tod. Es begann mit Lucréce. Ich hätte ihr nie begegnen dürfen. Oder mit dem Bagger, der sich vor dem verdammten Stein festfraß und nicht mehr von der Stelle zu bewegen war. Oder es begann schon vor über dreitausend Jahren. Vielleicht begann es damit, dass wir unser Schicksal nur sehr wenig beeinflussen können. Aber für die Leute beginnt immer alles mit einem Datum und einem Ereignis. Also beginnt es mit einem Bagger, dem Vollmond und der ungewöhnlich hohen Flut in der Nacht zum ersten Mal vor drei Monaten... Ich schlafe immer bei offenem Fenster. Ich bin auch kein Nachtwandler. Ich habe nur Alpträume, wenn Vollmond ist. Es zieht mich an wie das Wasser, das er als Flut um den Erdball treibt. Er schien auf mein Blut einzuwirken, dessen Zusammensetzung ich als Arzt doch genau kenne. Er verwandelt es in einen Saft mit halluzinogenen Giftstoffen, Und er lässt mich nicht los, bis ich aufgewacht bin.


von John Willow, erschienen 1977, Titelbild: Nikolai Lutohin