Vampir-Horror-Roman Nr. 221: Die Nacht vor dem Schafott
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Der Besuch der Hexe. Von dem Augenblick an, da der Graf Louis Philipp Jopeph
de la Rochepasquett seinen Fuß in das Gefängnis Lazare setzt,
ist er auf seinen Tod gefasst. Wer hier eingeliefert wird, der lasse jede
Hoffnung fahren! Das ehemalige Wohltätigkeitsinstitut des heiligen Vinzenz
von Paul gleicht einem großen Käfig für Raubtiere. Man schrieb
das Jahr 1793. Das Leben der letzten Tage ist hart. Tagsüber drängte
sich die Menge der Gefangenen- acht- bis neunhundert sind es- ohne Unterlass
durch die mit Gittern gesicherten Gänge, von scharfäugigen,
unnachsichtigen Gendarmen mit geladenen Gewehren bewacht. Ein beißender
Geruch hat sich in den Gewölben festgesetzt, und es gibt kaum Gelegenheit
sich zu waschen. Doch nichts kann den zum Abschlachten bestimmten Menschen
ihrer Würde rauben. Zwar weinen viele, und andere beten- viele aber
tanzen. Sie machen Visite und führen Gespräche. Die Kinder spielen.
Aber alle müssen sterben, denn die gefräßige Guillotine wartet.
Die Nächte sind besonders schlimm, in der heißen Zeit des "Thermidor".
Die Aufseher sorgten für absolute Ruhe. Jedes Gespräch hatte zu
unterbleiben. Kein Mensch darf seinen zugeteilten Platz verlassen. Es ist
Schlaf befohlen. Wehe dem der sich nicht an diesen Befehl hält! In der
stickigen Luft werden böse Träume wach. Unruhig wälzen die
Menschen sich auf den kümmerlichen Lagern. Das Entsetzen angesichts
des nahen Todes heizt ihre Phantasie an, schafft grausige Erscheinungen,
setzte Trugbilder frei.
von Georges Gauthier, erschienen 1977, Titelbild: N. Lutohin
Rezension von
Adee:
Kurzbeschreibung:
Frankreich, 1793. Die Revolution frisst ihre Kinder, und Bürger Sanson
arbeitet unermüdlich an der Guillotine. Louis, Graf de la Rochpasquett,
sitzt im Kerker und wartet auf seine Hinrichtung. Da bekommt er Besuch von
der Hexe Morell, die ihm ein Elixier anbietet, das sein Leben retten soll.
Der Graf hält alles für einen Traum und trinkt.
Am nächsten Morgen trennt ihm das Fallbeil den Kopf ab, aber er stirbt
nicht. Mutter Morell zieht seine Leiche unter das Schafott und setzt ihm
den Kopf wieder auf. Tatsächlich ist die Hexe seine wahre Mutter, der
Säugling wurde ausgetauscht. Sein richtiger Vater war ein großer
Alchimist. Und das Elixier hat Louis nun unsterblich gemacht. Aber er schwebt
trotzdem in großer Gefahr. Denn in Paris geht das Böse um. Da
ist vor allem das kleine rote Männchen, ein Dämon. Gezeugt von
einem abtrünnigen Priester und einer hurerischen Aristokratin wurde
er von den Teufeln Belilal, Adonai und Meffias adoptiert und wuchs in der
Hölle auf. Darum hat er auch diese unmenschliche Gestalt. Die Dämonen
laben sich an dem Morden der Revolution. Der Rote bekommt genau mit, dass
es nun einen Gegenspieler gibt, und er muss ihn vernichten.
Louis lernt die schöne Roxane kennen, die sich selbst für eine
Hexe hält, und beschützt sie. Dabei fällt er dem Mob in die
Hände und muss erneut seinen Tod vortäuschen, indem er sich einen
Dolch in die Brust rammt. Aber dann gerät er in Roxanes Haus in eine
Falle des Roten, der ihn zu einem Vampir macht. Mutter Morell kann den Roten
verjagen, aber der Schaden ist angerichtet. Von nun an quält Morell
die Gier nach Blut. Und dann wacht der Graf wieder im Kerker auf, und alles
scheint nur ein Traum gewesen zu sein ...
Meinung:
Georges Gauthier alias Walter Mauckner wurde neben Cedric Balmore in dieser
Phase des VHR zu einem der vielbeschäftigten Autoren der Serie. Nach
den Konflikten mit dem Jugendschutz setzte die Redaktion auf atmosphärisch
gruselige, aber größtenteils gewalt- und sexlose Romane. Ob nun
Frauengrusler wie Dark Shadows (Barnabas der Vampir) oder der
größtenteils unsägliche Hexenhammer, Horrorelemente wurden
deutlich zurückgefahren und alles ging gesitteter zu.
Wie schon das Pseudonym andeutet interessierte sich Mauckner offensichtlich
sehr für Frankreich, und er schrieb eine ganze Reihe von Romanen, die
alle etwas mit diesem Schauplatz zu tun hatten. Dazu gehört auch diese
Trilogie, die im Gewand eines historischen Romans daherkommt. Von der Anlage
her sind es für die Reihe ungewöhnliche Romane, da es hier keinerlei
Anstalten gibt, die historischen Ereignisse mit der Gegenwart zu
verknüpfen.
Allerdings wurden die Romane nicht als Trilogie vermarktet, und das alberne
Ende lässt vermuten, dass sie zuerst auch nie so geplant waren.
Möglicherweise ist dem Autor erst später bewusst geworden, dass
seine Geschichte mittendrin aufhört. Witzigerweise wird der idiotische
Schluss im nächsten Band einfach ignoriert. :-) Alles war nur ein Traum
(!) ohne die Fortsetzung ein völlig indiskutables
Ende.
Ungewöhnlicherweise für den VHR im Präsens erzählt
schöpft der Autor hier aus dem Vollen, was seine Kenntnisse über
unser Nachbarland und seine Geschichte angeht, und präsentiert mit einem
für einen Heftroman ungewöhnlich dichten Stil eine sehr phantasievolle
Story. Die Grausamkeit des Terrors bildet hier den makaberen Hintergrund,
wenn die Leichenkarren durch Paris rollen und Louis sich in einem Massengrab
wiederfindet, oder die Soldaten jeden verhaften, der nicht ihrem Ideal des
befreiten "Bürgers" entspricht.
Das liest sich alles sehr lebendig, falls man sich für die Epoche
interessiert, und auch wenn hier das Melodram bis zum Anschlag aufgedreht
ist, ist das durchaus vergnüglich. Louis als Held ist zwar völlig
naiv und nicht sehr effektiv in seiner eher diffusen Mission, und manche
Elemente des Höllenspuks sind ausgesprochen unausgegoren, trotzdem macht
es Spaß, über die Hexen, Giftmischerinnen und Dämonen der
Französischen Revolution zu lesen.
Besonderheiten:
Erster Roman einer vom Verlag nicht gekennzeichneten Trilogie. Fortsetzung
in VHR 260 "Der Para-Mann" und
VHR 268 "Im Schatten des
Fallbeils".
4 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Das Titelbild scheint für den Roman gezeichnet worden zu sein oder der
Roman wurde nach dem Titelbild geschrieben -, haben wir hier doch das Rote
Männchen und ein Schafott. Ein typischer Luthonin, wenn auch
zugegebenermaßen nicht so knallig bunt wie sonst.
Coverbewertung: