Monstrula Nr. 4: Die Todeskugel des Magiers

Monstrula Nr. 04:  Die Todeskugel des Magiers


Als James Cocker um sieben Uhr morgens in Hausmantel und Pantoffeln in sein Wohnzimmer schlurfte, glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu können. Auf dem Tisch lag eine Kristallkugel, groß wie ein Kinderkopf. Niemand hatte das Schloß der Tür aufgebrochen, die durch eine Kette zusätzlich gesichert war. Niemand konnte durch das Fenster einsteigen. Es war ein Rätsel, wie die Kugel auf den Tisch gelangt war. Sie schimmerte bläulich, glasklar, magisch anziehend. James Cocker setzte sich davor und starrte in die Kugel. Rings um ihn versank alles. Das Schrillen des Telefons riß den kleinen, hageren Mann aus seinen Gedanken. Sein Blick fiel auf die Uhr. Zehn Uhr! "Mr. Cocker!" hörte er die scharfe Stimme des Bürovorstehers. "Sie kommen in letzter Zeit ständig zu spät, aber heute ist es besonders unverschämt." "Ja, ich beeile mich", murmelte der Mann mit dem schütteren sandfarbenen Haar und warf den Hörer auf den Apparat. Dieses verdammte Büro! Dieser verdammte Bürovorsteher! Und dieser verdammte Chef! Alles hing ihm zum Hals heraus.


von M.R. Richards, erschienen am 23.09.1974, Titelbild: Olof Feindt
Rezension von Adee:


Kurzbeschreibung:
James Cocker lebt in Edinburgh und ist der Inbegriff eines vom Leben enttäuschten Normalbürgers mit gärendem Hass auf die Welt. Mieser Job, miese Wohnung, keine Freunde. Der einzige Lichtblick ist das schöne Model Ada Jackson, mit dessen Fotos er seine Wohnung vollgepflastert hat. Eines Morgens liegt wie hingezaubert eine Kristallkugel auf seinem Tisch. Sie schlägt Cocker sofort in ihren Bann. Als er ihretwegen die Arbeit vergisst und einen bösen Anruf seines Chefs bekommt, wünscht er der Firma hasserfüllt den Tod an den Hals. Und sieht in der Kugel, wie eine Feuersbrunst durchs Büro jagt und die meisten seiner Kollegen tötet. Was auch in der Realität passiert. Nun sieht er sich plötzlich als Herr über Leben und Tod. Seine Stunde ist gekommen - und als Erstes richtet er seine Aufmerksamkeit auf das Objekt seiner Begierde, das Model Ada.
An diesem Tag trifft Geisterseher Jack Callum in Edinburgh ein. Er soll Ada Jackson interviewen, die gerade auf dem Schloss einen Horrorfilm dreht. Das Model und der Reporter sind sich sympathisch, aber Jack hat sofort das Gefühl, dass Ada von Geistern verfolgt wird. Und in der Tat wird die Schönheit von dem geifernden James Cocker durch seine Kristallkugel beobachtet. Von seiner neuen Macht berauscht macht er Ada in ihrem Hotel seine Aufwartung - und wird von ihr öffentlich gedemütigt und achtkant herausgeworfen. Außer sich vor Wut rast Cocker zu seiner Kugel zurück und überfällt Ada im Bad mit monströsen Visionen. Er versetzt sie so in Panik, dass sie sich nackt aus dem Fenster stürzt. Natürlich bekommt Callum das mit, kann den Angriff aber nicht verhindern. Ada landet auf der Intensivstation.
Jacks Geisterseherfähigkeiten verraten ihm, dass er es mit einem finsteren Magier zu tun hat, der aus der Ferne zuschlägt. Aber auch Cocker wird klar, dass er mit Jack einen echten Feind hat. Und so beginnt ein unsichtbares Duell. Cocker spürt zwar, dass die magische Kugel ihm die Lebenskraft raubt, aber er kann schon lange nicht mehr aufhören, sie zu benutzen. Zuerst tötet er Ada auf der Intensivstation, dann rächt er sich an seinem Chef, indem er einen Hund zur Blutbestie mutieren lässt, die den Mann anfällt und ihn zerfleischt.
Jack entkommt dem Angriff des Hundes und kann letztlich die Kugel umpolen, dass sie ihm und nicht mehr Cocker gehorcht. Er lässt den Magier mit der Kugel verschmelzen. Aber erst, als er Cockers Versteck aufspürt, sieht er, was er tatsächlich getan hat. Der Mann ist in der Tat mit der Kugel verschmolzen - nun befindet er sich in ihrem Inneren und damit im Reich der Dämonen. Und obwohl Callum ihm dort trotz seiner Taten heraushelfen will, bleibt ihm der Rückweg versperrt. Und die Kugel verschwindet so mysteriös, wie sie gekommen ist.


Meinung:
Auch im vierten Band bleibt Richard Wunderer dem Konzept der damals noch neuen Serie treu und lässt böse Dinge einfach nur aus dem Grund geschehen, das sie böse und übernatürlich sind. An keiner Stelle wird dem Leser erklärt, wer nun die magische Kugel, die böse Phantasien in die Realität umsetzt, dem erbärmlichen James Cocker geschickt hat oder warum. Und erstaunlicherweise funktioniert das recht gut.
Der Roman lebt natürlich von seinen Charakterisierungen, von der Schilderung, wer was warum macht und was er dabei denkt und fühlt. Actionmäßig ist hier im Grunde nicht viel los. Dennoch ist das hauptsächlich geistig ausgeführte Duell zwischen Callum und dem Schurken der Woche ganz spannend dargestellt, und man vergisst als Leser, dass hier eigentlich nicht viel mehr passiert, als dass der Held in seinem Hotelzimmer sitzt und ins Leere starrt, während sein Geist im Reich des Übersinnlichen unterwegs ist. Und der Autor ist sich auch durchaus bewusst, dass das nicht abendfüllend ist und baut ein paar Szenen ein, in denen sein Held anders aktiv wird. Und Callum ist auch nicht unfehlbar, so wie in der Szene, in der er nicht bemerkt, dass sein zusätzlicher Schutz gegen das Böse, sein magischer Ring, nicht funktionieren kann. Es sind solche Kleinigkeiten, die bei MONSTRULA das Bild abrunden, genau wie die Idee, dass die magische Kristallkugel Cocker nicht reich machen kann, weil das ja etwas Positives wäre. Das hat was :-)
Nimmt man allerdings die rosarote Brille der Nostalgie ab, muss man heute sagen, dass die Charaktere letztlich arg eindimensional sind. Ada das Model ist schön, nett und sympathisch, während Cocker ein peinlicher notgeiler Verlierer ohne jede positive Eigenschaft ist, der sein Schicksal verdient. Andererseits hat er sich nicht sein Leben lang für Okkultismus interessiert und endlich das Mittel gefunden, mit dem er seine Machtphantasien in die Tat umsetzt. Allein das macht ihn in einem Horrorheftroman fast schon wieder zu einer vielschichtigen Figur.
Auch bei der "detektivischen" Ermittlung unseres Starreporters muss man als Leser bereit sein, ein paar Dinge einfach mal so zu glauben, auch wenn sie bei näherem Hinsehen bestenfalls abstrus sind. Trotzdem bleibt ein spannender Horrorroman mit einer für seine Zeit recht nihilistischen Geschichte die thematisch gesehen auch heute noch aktuell ist, das schauspielernde Model, der besessene, voyeuristische Fan etc - wo nicht nur der frühe Tod der Heldin in der Not überraschend kommt.


Besonderheiten:
Der Roman spielt in Edinburgh in Schottland.


4 von 5 möglichen Kreuzen:
4 Kreuze


Kommentare zum Cover:
Für seine Zeit ein recht blutrünstiges wenn auch atmosphärisches Titelbild, das einen der Morde im Heft thematisiert und noch weiter ausschmückt.


Coverbewertung:
4 Kreuze