Macabros Nr. 94: Todesruf der schwarzen Hexe
Er vernahm plötzlich das Geräusch. Es hörte sich an wie fernes
Klagen, das stärker wurde und ihn nicht mehr losließ. Fietje Bensen
hielt den Atem an, preßte die Hände gegen die Ohren und blickte
mit fiebrig glänzenden Augen in die Gegend. Er stand da, als ob er den
Verstand verloren hätte, weil der klagende, nervenzerfetzende Ton in
jede Faser seines Körpers drang. Fietje Bensen, fünfunddreißig,
von kräftiger Statur und Seemann, stöhnte leise. Die Prophezeiung!
Siedendheiß fiel ihm wieder ein, wie man ihn auf Neuseeland gewarnt
hatte. Aber er hatte nur gelacht darüber. Geister? Dämonen? Spuk?
Alles Unfug! Das gab es nicht! Es gab auch keine Kräfte, die in
dämonisierten Gegenständen steckten und plötzlich wirksam
wurden ... Sogenannte Tikis, die die Eingeborenen, die Maoris, benutzten,
um Fluch und Unheil über verfeindete Familien oder ihnen verhaßte
Menschen zu bringen.
Rezension von
GoMar:
Kurzbeschreibung:
In Hamburg erschallt der Todesruf der Schwarzen Hexe, aber nur Fietje Bensen,
ein Seefahrer, hört ihn. Er frevelte gehörig in Neuseeland in dem
der "Schwarzen Mutter" alias "Schwarzen Hexe" geweihten Tempel, einer
Höhle, und zog sich so deren Fluch zu - und stirbt dafür nun auf
offener Straße. Und verschwindet gleich darauf spurlos durch einen
schwarzen Nebel. Beobachtet von einem Zeitungsverkäufer, der wenig
später bei seiner Quasi-Freundin, der Prostituierten Lilo, auftaucht
und ihr eine kleine schwarze Statue zeigt, die er an genau der Stelle von
Bensens Verschwinden fand: ein Tiki der Maoris. Als Lilo es zerstören
will, verschwindet sie ebenfalls mithilfe eines schwarzen Nebels, und der
Zeitungsverkäufer wird als ihr mutmaßlicher Mörder
verhaftet.
Rani Mahay und Danielle de Barteauliée sind in Manchester hinter dem
Ehepaar Bardon her, von denen sie sich Informationen über die Schwarze
Hexe erhoffen. Als Rani mit dem Lift in den vierten Stock fährt,
verschwindet er spurlos - und kommt auf einer Insel an, an deren Strand gerade
ein Schiffbrüchiger von Kannibalen gefangen genommen wird. Als es dunkelt,
schleicht sich Rani hin und stellt fest, dass der Mann lebt - und die Kannibalen
ihn verspeisen wollen (no na!). Sofort rettet er den Unglücklichen und
flieht mithilfe seiner Suggestivkraft gemeinsam mit ihm erfolgreich vor den
Kannibalen. So erfährt er später, dass er im Jahre 1678 gestrandet
ist. Rani vermutet sich auf Neuseeland, das aber erst ca. 90 Jahre später
von James Cook entdeckt werden wird! Niemand weiß, dass er sich hier
befindet, um ihn irgendwie retten zu können - und dann bricht auch noch
ein mächtiger Vulkan aus ...
Björn Hellmark und Carminia Brado machen Urlaub - in Alaska bei Minusgraden!
Sie sind jedoch hinter Bill Redgrave her, einem Reporter, der einmal über
die Schwarze Hexe berichtete - und verschwand. Björn erfährt von
einem mittellosen Trapper, wo sich der Mann aufhält, und begibt sich
als Macabros dorthin. Er findet Bill Redgrave - und landet in den Klauen
der Schwarzen Hexe ...
Danielle de Barteauliée macht sich Sorgen um Rani Mahay, als dieser
nach über einer Stunde noch immer nicht auftaucht, findet mit ihren
Hexenkräften heraus, wo die Bardons ihr Hotelzimmer haben und belauscht
sie. Sie tanzen um ein Gebilde aus Knochen, ein Mondgesicht mit Flügeln
darstellend, und beschwören es. Da verrät die Schwarze Hexe den
Bardons, dass sie belauscht werden. Sofort greifen die schwarzen Nebel nach
Danielle und packen auch sie ...
Meinung:
Ein spannender Beginn, denn Hexenflüche haben immer etwas Bedrohliches
an sich - wenn man heutzutage in den Zeitungen liest, was Menschen alles
an Beträgen bezahlen, um sich von solchen vermeintlichen Flüchen
freizukaufen, dann ist das schon sehr aktuell -, noch dazu, da dieser Fluch
als Todesruf sogar tötet! Dieser Ruf wird dabei so laut, dass man daran
stirbt, deshalb sollte wohl jeder bei seinen Tinnitus-Problemen darüber
nachdenken, ob nicht der Todesruf der Schwarzen Hexe ...?
Als Rani Mahay auftritt, ist das Geschehen noch halbwegs spannend, auch die
Schilderung der Kannibalen auf Neuseeland vor 300 Jahren hat noch
Spannungselemente zu bieten (wenn ich auch schwer nachvollziehen kann, dass
kein Speer der Eingeborenen einen so breiten Körper wie den von Rani
zu treffen imstande ist - ach ja, geht ja nicht, denn dann wäre er ja
tot!). Als Björn Hellmark und Carminia Brado aber auftreten, wird es
relativ langweilig, denn der Gag mit dem Urlaub in Alaska verpufft alsbald,
wenn es dann heißt, dass Carminia gleich wieder nach Marlos
"zurückhopst", um auf Horchposten zu gehen. Wozu war sie dann dabei?
Um einige Seiten mit Text zu füllen? Wahrscheinlich! Eventuell auch,
um sie nicht auf Marlos verkümmern zu lassen, denn die dortige
Landwirtschaft mit Pflügen, Eggen, Ansäen, Ernten, Dreschen,
Kornmahlen, Brotbacken - ebenso das Aufzüchten und Betreuen von Nutztieren,
damit man Milch, Eier, Wolle und Fleisch erhält (interessant ist nur,
wer schlachtet [= tötet!] die bedauernswerten Nutztiere bei diesen
friedliebenden Marlosianern?). Außer Rani Mahay würde ich es kaum
jemandem zutrauen ...
Davon abgesehen wieder zurück zum Romangeschehen, das nicht allzu viel
Besonderheiten mehr bietet, denn bis auf die Beschreibung der Welt der Schwarzen
Hexe im Universum, die jedenfalls wieder typisch Dan Shocker ist - sehr
lesenswert -, ist der Plot nicht mehr sonderlich spektakulär (ein wenig
Jack Londons "Wolfsblut", ein wenig Daniel Dafoes "Robinson Crusoe" - beides
hervorragende Bücher, übrigens!) und das Ende wieder einmal etwas
überhastet erreicht. Da hätte der Carminia-Part gegen ein spannender
geschriebenes Finale locker eingespart werden können!
Ein anderes (kleines) Problem stellt für mich immer wieder Dan Shockers
Umgang mit der Zeit dar. Hierbei ist damit der ganz normale irdische Kalender
gemeint. Als Beispiel: In MAC 93
heißt es gleich zu Anfang: "Bis zum 27. Mai verlief ... ", und dieser
Roman wird innerhalb von 2 Tagen abgehandelt. Ein, zwei Tage Ruhepause für
Björn kommen eventuell noch dazu (wäre dann der 30. Mai). Im
vorliegenden Roman (MAC 94) heißt es, dass Redgrave am 23. (das sei
vor 4 Tagen gewesen) abgereist wäre, also ist es der 27. (logischerweise
also der 27. Juni [da fährt selbst in Alaska kaum noch jemand mit dem
Hundeschlitten, da es auch hier einen Sommer gibt!], aber weit gefehlt, wie
man weiter unten sehen wird), als Björn in Alaska ankommt. Laut einem
Trapper dauert die Reise bis zur Hütte, in der Redgrave sein soll, einige
Wochen mit dem Hundeschlitten. Macabros erscheint dort praktisch in Nullzeit,
und findet schließlich Redgrave im Keller der Hütte völlig
verwahrlost vor. Redgrave hielt sich in dem Keller schon die letzten 3 Wochen
auf (obwohl er eigentlich noch mit dem Hundeschlitten unterwegs sein
müsste, da er erst vor 4 Tagen abgereist war)! Es sei denn, er hätte
ein Flugzeug gechartert, aber wie passen dann die 3 Wochen Verwahrlosungszeit
dazu? Dann Rani: Er kommt in Neuseeland 300 Jahre vor seiner eigenen Zeit
an und erfährt von einem Schiffbrüchigen, dass dessen Schiff am
16. April 1678 unterging, während er am Schiffsmast angebunden war zwecks
Auspeitschung. Sagen wir 1-2 Wochen hält ein Mensch ohne Trinkwasser
an einen Mast gebunden auf dem Meer treibend durch (für mich kaum
vorstellbar!), dann wäre er eventuell am 27. April 1678 bei den Kannibalen
angekommen. Als Arson mit dem Zeitschiff aufbricht, um Rani zu suchen, begibt
er sich exakt 300 Jahre auf den Tag genau zurück (also handelte es sich
beim Tag von Ranis Verschwinden um den 27. "April" 1978, und somit über
4 Wochen früher, als das vorherige Abenteuer
(MAC 93 ) begann - eine
interessante Shocker'sche Zeitfalte (oder doch Zeitfalle?), finde ich. Vielleicht
war ja der 27. Juni gemeint, da die Romane im monatlichen Zyklus erschienen,
aber es ist nun mal der "April" als Monatsname im Roman genannt. Unaufmerksamkeit
des Autors - oder der Redaktion?
Da man inzwischen laut des Autors eigenen Aussagen weiß, dass er selten
oder nie Aufzeichnungen machte, ist das wenig verwunderlich, für den
chronologischen Ablauf des "13-Wege-Zyklus'" beispielsweise dennoch etwas
problematisch. Aber sei's wie's sei: Für den Spannungsbogen eines Romans
ist so etwas natürlich nicht wirklich relevant. Und man darf auch nicht
vergessen, unter welchem Zeitdruck Dan Shocker ständig schrieb, da er
für 2 Serien gleichzeitig arbeitete und auch schon zumindest eine weitere
plante, wenn er nicht schon daran arbeitete, Leserbriefe eigenhändig
beantwortete (und das alles mit der Schreibmaschine, wo man Fehler nicht
einfach so wegklicken konnte wie heutzutage am PC. Man schrieb den
Leserbrief-Antwortbrief wieder neu, wenn man ihn fehlerfrei haben wollte,
darauf achtend und hoffend, keinen neuen Fehler zu tippen ...). Das alles
bedacht, fallen solche Dinge wie falsche Zeitangaben nicht wesentlich ins
Gewicht - und viele Leser waren bekanntermaßen von seinen Romanen sehr
begeistert (wie ich es ja auch war und noch immer bin). Macabros las und
liest man ja wegen der unvergleichlichen Phantasie Dan Shockers, und nicht
wegen korrekter Zeitangaben. Etwas darauf achten hätte aber auch nicht
geschadet ...
Als wirkliches Ärgernis noch: Dieser Roman strotzt nur wieder so vor
Druckfehlern. Seien es entfallene Buchstaben, zu viel gedruckte Buchstaben,
falsche Wörter, ständig anders geschriebene Wörter wie: schwarze
Hexe; Schwarze Hexe, "schwarze Hexe"; "Schwarze Hexe" und Ähnliches.
Der Lektor muss da wohl einige rabenschwarze Stunden gehabt haben - oder
er hatte Besuch von den oben erwähnten 4 verschiedenen Hexen und konnte
sich einfach nicht entscheiden. Oder von Dan Shocker wohl selbst so geschrieben:
Ständig das französische Wort "Concierge" für englische und
amerikanische Hotelangestellte ist wohl doch etwas zu viel an sprachlicher
Anbiederung (wurde aber beim Nachdruck durch den Blitz-Verlag ganz genauso
konsequent Wort für Wort übernommen).
Fazit: Der Roman ist nicht unspannend geschrieben, aber wenn man ihn nicht
gelesen hat, fehlt einem kein besonderes Mosaiksteinchen des Macabros-Universums.
Selbst Ak Nafuur schien sich dessen bewusst zu sein, weshalb auch kein Brief
von ihm abgedruckt wurde ...
Besonderheiten:
1. Die Schwarze Hexe hat ihren ersten Auftritt.
2. Björn Hellmark und Carminia Brado "erfinden" den Kurztrip nach Alaska
...
3. Björn Hellmark wandelt auf Jack Londons Spuren ...
4. Rani Mahay wandelt auf Robinson Crusoes Spuren ...
5. Als Innen-Illustration wird wieder Pepe, der Mexikanerjunge, gezeigt.
6. Dieser Roman erschien auch als 2. Teil im Macabros-Doppelband Nr. 42 im
Blitz-Verlag, gedruckt erstmals in der neuen deutschen Rechtschreibung.
2 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Das Titelbild entspricht wieder einmal Lonati-mäßig detailgetreu
der Vorgabe durch Dan Shocker (oder war es umgekehrt?). Sehr bedrohlich wirkend
und detailverliebt gemalt. Wenn ich mir einzelne Häuser und Felsteile
betrachte, meine ich darin Gesichter zu erkennen. Die geflügelten
Köpfe erscheinen beim schnellen Betrachten noch fast lieblich, bei genauerem
Hinsehen schon dämonischer. Die unheimliche Atmosphäre der Burg
der Schwarzen Hexe weht den Betrachter förmlich an - und man erwartet
fast, sogleich den Ruf der Schwarzen Hexe zu hören ...
Coverbewertung: