Larry Brent Nr. 89: Lebende Leichen
|
Die grauhaarige Schwester in der gläsernen Loge hob lauschend den Kopf.
Die Uhr der nahen Kirche schlug. Es war elf. Das große Haus lag still;
die breite Vorhalle und die Treppen verschwanden im Halbdunkel. Nur ab und
zu hörte man von draußen, von jenseits des kleinen Parks, der
das Hospital umgab, das ferne Rollen eines Autos. Durch die offene Glastür
drangen die Nachtkühle und der Duft blühender Bäume und
Blumenbeete. Es war die Stunde, in der sie leicht ins Träumen geriet.
Das hatte Schwester Marion schon immer gern getan. Sie wußte, es war
nicht gut für ihren Beruf, und sie nahm sich auch sonst sehr zusammen.
Aber um diese Nachtzeit durfte sie es. Während sie sich über die
Liste der neu eingelieferten Kranken beugte, hörte sie plötzlich
ein Geräusch. Zuerst unbewußt, aber es drang durch ihre Gedanken
hindurch und brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Es schien, als
käme jemand mit nackten Füßen langsam eine Treppe herauf,
Schritt für Schritt. Dazwischen lagen Sekunden, und nach jedem Schritt
raschelte es, als schleife Papier über den Boden.
von Dan Shocker (nicht Jürgen Grasmück), erschienen am
04.02.1975, Titelbild: R.S. Lonati
Rezension von
Florian
Hilleberg:
Kurzbeschreibung:
In dem kleinen österreichischen Ort Moolstadt erwachen kürzlich
Verstorbene wieder zum Leben. Dabei versuchen sie ihr altes Leben wieder
aufzunehmen, doch das neue Leben währt nur kurze Zeit und die lebenden
Leichen sterben für immer. Larry Brent befindet sich auf der Durchreise
nach Budapest, als er auf die merkwürdigen Vorkommnisse aufmerksam wird
und beschließt den Fall aufzuklären. Allzu bald wird er selbst
zum Zeugen des grausigen Geschehens und die Angst der Bewohner ist fast
körperlich zu fühlen. Hinzu kommt das mysteriöse Verschwinden
der Hunde von Moolstadt. Der PSA-Agent steht vor einem Rätsel. Dann
geschieht der erste Mord...
Meinung:
Unheimlich beschreibt Dan Shocker das Erwachen der Leichen und die Angst
der Bewohner vor einem Fluch. Die bedrückende Atmosphäre
überträgt sich unwillkürlich auf den Leser und auch wenn die
Leichen nicht aggressiv gegenüber den Lebenden auftreten verbreitet
das unheimliche Wiedererwachen ein Gefühl des Schauderns. Besonders
als das ertrunkene Mädchen an die Tür ihrer Pflegemutter klopfte
war sehr gruselig. Die beginnende Hysterie der Stadtbewohner wurde ebenfalls
treffend beschrieben und gekonnt beschreibt der Autor, wie die Angst
umschlägt in Wut, als die Menschen endlich glauben einen Schuldigen
gefunden zu haben, den sie für die Geschehnisse verantwortlich machen
können. Somit beinhaltet der Roman auch einen Hauch Gesellschaftskritik.
Der Urheber des Grauens ist dieses Mal auch kein abgrundtief bösartiger
Charakter oder ein menschenverachtendes Individuum, sondern ein fehlgeleiteter
Mensch mit durchaus noblen Gesinnungen. Der Schreibstil ist zu beginn ein
wenig holprig, bedingt durch die schnellen Szenenwechsel, wird aber schnell
flüssig und rasant, obwohl die Story mit Action sehr sparsam umgeht.
Aber gerade das ist eine Stärke des Romans, der sich hauptsächlich
auf eine düster-unheimliche Stimmung konzentriert. Unverständlich
bleibt Larrys Verhalten extra ein Telefongespräch nach New York anzumelden,
um Bericht zu erstatten. Den hätte er auch mit seinem PSA-Ring durchgeben
können, zumal er sowieso einen Rückruf abwarten musste. Auch seine
Laserwaffe hatte der Agent scheinbar zu Hause gelassen, denn bei der Belagerung
der Burg seines alten Freundes durch die Bewohner von Moolstadt hätte
er sich mit der Pistole zumindest Respekt verschaffen können. Doch die
Smith & Wesson-Laser wird nicht mal erwähnt. Fazit: Ein unheimlicher,
spannender Thriller, weitab von gängigen Zombie-Klischees mit einer
raffinierten Hintergrundgeschichte und nur kleinen Schwächen und
Ungereimtheiten.
4 von 5 möglichen Kreuzen:
Kommentare zum Cover:
Das Cover zeigt eine Szene, die gleich zu Beginn des Romans passiert. Die
lebenden Leichen sehen unheimlich aus und die blassblaue Grundfarbe des Bildes
vermittelt eine kalte, sterile Atmosphäre, welche besonders in den Szenen
im Obduktionsraum zu spüren ist.
Coverbewertung: