Das Haus lag in tiefer Dunkelheit. Wind strich um die Mauern, drang durch
die zerbrochenen Scheiben ins Innere ein und wehte das Laub auf, welches
hoch, sehr hoch auf den Wegen und dem Rasen lag, der das Gebäude umgab.
Bäume reckten ihre kahlen, dürren Äste in den Nachthimmel.
So als wollten sie die Natur anklagen für das, was sie mit ihnen getan
hatte. Kein Licht erhellte den Garten oder das Haus. Selbst der Mond hielt
sich hinter dichten Wolken verborgen, die einem endlosen Band gleich über
das Firmament zogen. Eng aneinander gereiht, in bizarren Formen und Figuren.
Früher einmal hatten in diesem alten Haus Menschen gewohnt. Aber das
lag schon lange zurück. Jahre. Jahrzehnte. Inzwischen waren sie alle
fort; gestorben oder weggezogen. Das sah man auch. Farbe blätterte von
den Mauern, Fenster und Türen ab, die dennoch dem Wetter zu trotzen
schienen. Der Garten, einst von Rosenhecken umsäumt, war verwildert.
Unkraut wucherte zwischen den Steinen der Wege empor, bedeckte die Zufahrt,
welche zu einer erst später angebauten Garage führte, und rankte
sich um das Eisengitter, welches das Grundstück zur alten Straße
hin abgrenzte. Zwar blühten die Rosen noch manchmal, doch sie verschwanden
unter den Gräsern und Farnen, unter dem Unkraut und auch unter dem Laub,
welches niemals weggeräumt wurde und sich darum auftürmte. Bäume
warfen lange Schatten, trugen im Frühling und im Sommer ihr
Blätterkleid, um es im Herbst zu verlieren und nun im Winter
kahl da zu stehen als Symbol der Vergänglichkeit und
Wiedergeburt der Natur. Die Menschen in dem kleinen Ort machten einen weiten
Bogen um das Haus. Es sei nicht geheuer, hieß es, und darin würde
das Böse wohnen. Obgleich niemand so genau wusste, was das Böse
eigentlich sein sollte. Doch alle wussten, dass man sich vor dem Grundstück
und vor allem vor dem Inneren des Hauses hüten sollte. Menschen seien
darin umgekommen oder verschwunden, so erzählte man sich. Tiere, die
durch die zerbrochenen Scheiben hineingekrochen seien, hätte man in
höchster Not schreien hören. Waren es Legenden? Waren es die typischen
Spukgeschichten, wie man sie sich vielerorts erzählte? Ursprünglich
ausgedacht, um Kinder abzuschrecken? Verselbstständigte Märchen,
die sich als Legende verbreitet hatten, mehr und mehr Nahrung erhielten und
schließlich als Tatsache gelten durften? Keiner aus dem Ort wusste
es und keiner hatte Lust, der Sache auf den Grund zu gehen. Das Bohrmann-Haus,
wie es hieß, war ein verwunschener Ort, den man mied. Fremde hingegen
waren schon immer angetan gewesen von den Geheimnissen und Mythen, welche
sich um dieses Haus rankten. Touristen erfuhren in den Wirtshäusern
vom Bohrmann-Haus, bekamen die Geschichten detailreich und blutig
ausgeschmückt in immer neuen, immer üppigeren Varianten serviert.
Also zogen sie los, um sich das Haus anzusehen. Und es wirkte ja auch gruselig
mit seinen verschnörkelten Mauern und den zu Fratzen umgeschmiedeten
Wasserrinnen. Der verwilderte Garten sowie das rostige Eisengatter taten
ein Übriges, um das Bohrmann-Haus als Spukgebäude erscheinen zu
lassen. Zudem brach sich der Wind nur allzu oft in den alten Schindeln, fuhr
durch die Zimmer und die Gitterstäbe des Zauns, so dass heulende, schaurige
Laute entstanden. Zwar konnte man diese Geräusche erklären
aber wer wollte dies schon, wenn sie zu einem Geisterhaus passten? Als mit
den 80er Jahren der Okkultismus eine Renaissance erlebte, geriet auch das
Bohrmann-Haus in den Blickwinkel des allgemeinen und speziellen Interesses.
Wissenschaftler aus Freiburg kamen, um sich das Gebäude anzusehen. Manche
glaubten, merkwürdige Begebenheiten auszumachen, und andere waren letztlich
davon überzeugt, urbanen Legenden aufgesessen zu sein. Abschließend
beantwortet wurde die Frage, ob es sich bei diesem Gebäude um ein Spukhaus
handelte, jedoch nie.