Jaqueline Berger Nr. 5: Medusas Vermächtnis
Jaqueline Berger Nr. 5: Medusas Vermächtnis


Das Zimmer sah aus, wie man sich den Raum einer Heranwachsenden vorstellte. Poster an den Wänden – Boygroups und der Gewinner der ersten DSDS-Staffel, Alexander. Dazwischen ein Pärchen im Sonnenuntergang; romantische Stimmung, zu der auch die dunkel gestrichene Decke mit den vielen hellgelben Neonpunkten passte. Vor dem Fenster des Jugendzimmers wuchs ein Baum empor. Seine Äste kratzten manchmal über das Fenster, und früher hatte sich Madeleine in solchen Nächten gefürchtet. Wenn der Wind um das Haus strich, der alte Baum sich bewegte und die unheimlichsten Geräusche durch das Haus tönten. Inzwischen war sie bereits 15 und kannte jedes einzelne Geräusch, welches der Wind oder auch das Haus verursachen konnte. Es gab keinen Grund mehr, sich vor diesen Lauten zu fürchten. Stattdessen fürchtete sich vor etwas anderem. Nacht für Nacht, sobald es ruhig wurde im Haus, begann der Terror, dem sie nicht so einfach entfliehen konnte. Leise und unmerklich, unbeachtet von ihren Freundinnen und so grausam, dass es ihr den Mund verschloss. Wann hatte es begonnen? Madeleine wusste es nicht mehr genau. Irgendwann mit zehn oder elf. Da geschah es zum ersten Mal, dass sich in der Nacht die Tür zu ihrem Raum öffnete und ihr Vater mit einer Bierfahne an ihr Bett kam, um sie dort zu berühren, wo Kinder nicht berührt werden wollen. Um zu tun, was Kinder nicht begreifen können, und um sich an dem zu vergnügen, was Kinderseelen zerstören kann. Madeleine hasste ihr Bett. Sie hasste das Zimmer und sie hasste sich. Mehr noch als ihren Vater, der ihr immer wieder beteuerte, dass allein ihre Schönheit verantwortlich dafür sei, dass er sich nicht im Griff habe. Dreimal, viermal die Woche, nach Mitternacht und immer dann, wenn er sich vor dem Fernseher bei Uhse-TV oder einem härteren Streifen aufgegeilt hatte und der Alkohol seine Hemmungen nahm. Wie oft hatte sich das Mädchen gewünscht, fett und hässlich zu sein, damit ihr Vater die Finger von ihr ließ. Sie wusste nicht, dass er dennoch gekommen wäre. Um sich an ihr zu befriedigen und den Trieb auszuleben, der tief in ihm steckte. Auch in jener Nacht lag Madeleine wach und wartete. Leise tickte der Wecker, den sie zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Von ihrer Mutter, die genau wusste, was ihr Mann tat, und doch schwieg. Ein großer Wecker mit weißem Ziffernblatt und dem Aufdruck einer bekannten Boyband. Oft versank Madeleine zum Klang der Musik in ihren Träumen, vergaß den Schrecken, der so namenlos für sie war und der sie mit einer Scham erfüllte, die sie schweigen ließ. Früher war sie aufgeweckt und fröhlich gewesen, mittlerweile jedoch in sich gekehrt und still. Ihren Freundinnen war es aufgefallen und auch den Lehrern. Doch wann immer man sie darauf ansprach, schwieg Madeleine. So als würde ihr das Geheimnis, welches sie mit sich herumtrug, die Lippen verschließen. Das Mädchen lauschte. Auf das Ticken des Weckers, das sie schläfrig machte. Auf die Musik und die Stimmen, die durch die dünnen Wände auch in ihrem Raum zu hören waren. Auf das Geräusch einer entkorkten Bierflasche. Sie wusste – er würde kommen. Betrunken, grob und mit einem Funkeln in den Augen, welches Madeleine ängstigte. Er würde kommen, seine Hose vor ihrem Bett herunterlassen und dann…
Es würde anders sein als sonst. Sie wusste es. Sie spürte es. Sie hoffte es. Ganz anders, denn diesmal war Madeleine vorbereitet. Dies zumindest hoffte sie. Draußen vor dem Haus war es still. Der Wind wehte an diesem Abend nur schwach, schaffte es kaum, die Äste zu bewegen. Ein schwacher, abnehmender Mond hing über dem Haus, kaum von Wolken bedeckt. Es war eine Winternacht, wie sie angenehmer nicht sein konnte. Auch wenn draußen eisige Temperaturen herrschten, war es in den Wohnungen und Häusern angenehm. Oder gerade deswegen? Weil man sich im Warmen aufhalten und hinaus in die sternklare Nacht schauen konnte, mit einem Buch in der Hand, welches von warmen Sommertagen und Inseln erzählte, die jenseits des Horizonts so viele Abenteuer bereithielten.


Rezension von Benfi:


Kurzbeschreibung:
Ein einfaches Herzversagen des scheinbar normalen Familienvaters Peter Nagel ist eigentlich kein Fall für Jaqueline Berger und ihre Mitarbeiterin Linda Zimmermann. Wenn solch ein Herzversagen aber im näheren Umkreis verstärkt auftritt und bei den jeweiligen Leichenobduktionen versteinerte Herzen festgestellt werden, dann liegt der Sachverhalt schon anders. So stoßen die Ermittlerinnen auf einige geheimnisvolle Vorgänge. Immer wieder wird von einem runden, glänzenden Gegenstand geredet, der im Umkreis der Opfer auffiel. Bald kommen Linda und Jaqueline dahinter, dass es sich hierbei um ein Schild handelt, wie es in grauer Vorgeschichte die Krieger der Antike benutzten. Und weitere Ermittlungen deuten auf das Schild der Athene hin, die der griechischen Sage nach den Kopf der Gorgone Medusa in ihrem Schild trug, nachdem Perseus die Schlangenköpfige enthauptet hatte. Spielt dieser sagenumwobene Schild tatsächlich in diesem Fall eine Rolle? Und wenn ja was ist der Zweck dieser Morde? So müssen JB und Linda alle Zeugen weichklopfen, bis sie eine einen neuen Anhaltspunkt in der Hand haben! Und tatsächlich sie stoßen auf einen Mann, der diversen Personen durch Hilfenahme des Schildes aus ihren misslichen Lebenslagen helfen soll. Doch sein Motiv ist ein anderes: die Erweckung der Medusa!


Meinung:
JB goes griechische Mythologie und das mitten in Deutschland! Dem Autor gelingt es in diesem Roman geschickt einen Teil dieser Sagenwelt in das Hier und Heute zu transferieren, ohne das Ganze zu verworren rüberzubringen. Dabei hält er sich auch bis zum Ende mit der Action zurück und fügt viel mehr Atmosphäre in die Handlung. Nach nunmehr fünf Abenteuern der ungewöhnlichen Ermittlerin und allen ihren Helfern fühle ich mich bei diesen schon sehr heimisch und es ist schon überraschend was JB in dieser kurzen Zeit für ein kleines Universum mit fixen Gegnern, immer wieder benutzten Waffen und anderen Dingen, die den Leser eben eine Serie so vertraut machen, besitzt. Und es gibt ja zum Glück noch mehr Romane davon!


Besonderheiten:
Erscheinungsdatum: November 2004
-erster Auftritt von Pathologe Ference Rosenbaum


3 von 5 möglichen Kreuzen:
3 Kreuze


Kommentare zum Cover:

Das Cover ist eher was für den zweiten Blick! Zuerst registriert man eigentlich nur diese giftgrünen Schlangen. Dann allerdings nimmt man auch die Medusa mit dem Schlangenblick war und irgendwie ergibt das Cover dann ein komplettes Bild, denn aus diesem Blickwinkel könnten die Schlangen tatsächlich direkt auf Medusas Kopf hocken, was allerdings nicht sichtbar ist! Interessant gemacht!


Coverbewertung:
3 Kreuze