Der Hüter Nr. 5: In der Gewalt des Unholds

Der Hüter Nr. 5: In der Gewalt des Unholds


Walter Krasser nahm einen Schluck aus der großen Weinbrand-Flasche, verschraubte sie, steckte sie wieder in die Seitentasche seines viel zu weiten, abgetragenen Mantels und sah in den Himmel. Seit ein paar Stunden schneite es in dicken, schweren Flocken und die Temperatur lag knapp unter dem Gefrierpunkt. Der schneidende Wind verbiss sich in Krassers zerfurchter Gesichtshaut und gab ihm das Gefühl, dass es deutlich kälter wäre. Krassers Atem kondensierte vor seinem Mund und dass er nicht sofort gefror, verdankte er wahrscheinlich nur der Tatsache, dass ein gehöriger Anteil Alkohol darin enthalten war. Wo war nur diese verdammte Hütte, von der Geezer ihm erzählt hatte? „Raus aus Ehernau Richtung Fußballplatz“, hatte Geezer gesagt - oder Giselher, wie sein schon lange verschwundener Ausweis ihn in seinem noch länger verschwundenen Leben genannt hatte. „Nachm Sportplatz geht’s links in den Wald. Dem Weg folgste eine Viertelstunde oder so und schon biste bei dieser ollen Hütte der Forstverwaltung. Steht seit nem halben Jahr leer, die Bude. Und es sind sogar nochn paar Decken drin. Da kannste herrlich deinen Rausch ausschlafen, Wally! Ich penn heut Nacht bei nem Kumpel, also kannst von mir aus heute du mal da hin.“ Das war ein Angebot, das Krasser natürlich nicht ausschlagen konnte. Bevor er wieder stundenlang ein halbwegs warmes Plätzchen in Ehernau suchte, von dem er dann doch nur wieder vertrieben wurde, wickelte er sich lieber in die Decken in der Waldhütte.


von Oliver Fröhlich / Oliver Müller, erschienen im Dezember 2006
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