Der Hüter Nr. 3: Rotbarts Fluch

Der Hüter Nr. 3: Rotbarts Fluch


"Friedhöfe sind auch nicht mehr das, was sie einmal wa ren", brummte der große, hagere Mann, als er seinen Merce des 500 geparkt hatte, die Sonnenbrille ab nahm und ausstieg. Bei Dunkelheit war die dunkle Sonnen brille, die der Mann in seinem Mantel ver staute, doch ein eher ungewöhnliches Accessoire. Ein letzter Blick auf die Uhr zeigte: Noch knapp zwanzig Minuten bis zu der Stunde, die die Men schen Geisterstunde nannten. In der Tat war es eine machtvolle Stunde, die Stunde der Toten. Der volle Mond zau berte Lichtreflexe auf den schwarzen Lack des Spitzenmodels der Stuttgarter Autoschmiede. Der Hagere holte eine kleine Umhängetasche aus dem Kofferraum und verschloss das Fahrzeug per Funkbefehl. Die aufleuchtenden Blinker warfen ihr gelbes Licht auf das Gesicht der Gestalt. Die Haut wirkte in diesem Licht beinahe unnatürlich bleich, fast schon durchscheinend. Die Augen lagen tief in den Höhlen und wirkten wie schwarz glänzende Kohlen. Das strähnige graue Haar fiel auf die Schultern des Mannes. Das Lächeln offenbarte eine Reihe gelber Zähne. Er sah im für ihn taghellen Mondlicht zu einem dieser neuen Friedhöfe hinüber, die mehr Ähnlichkeit mit einem Supermarktparkplatz denn mit einem Totenacker hatten. Fast erwartete der Hagere auf Plakate zu stoßen, die auf eine besonders günstige Grabstelle hin wiesen. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem verächtlichen Schmunzeln, als er an Gießkannen vorbei kam, die man für eine Pfandmünze von einer Kette lösen konnte.


von von Horst Hermann von Allwörden, erschienen im Oktober 2006
download als PDF (3,41 Mb)